LGBT+SICHTBAR MACHEN

DER DAX30 LGBT+DIVERSITY INDEX – IM GESPRÄCH MIT STUART CAMERON VON UHLALA

Diversity in Unternehmen und das dazugehörige Diversity Management werden immer wichtiger. Die Uhlala Group hat mit dem DAX30 LGBT+ Diversity Index ein Instrument geschaffen, welches Interessierten einen Überblick über die Situation von LGBT+ in Deutschlands wichtigsten Unternehmen gibt.

Kannst du uns zu diesem Instrument etwas mehr erzählen?

Wir haben uns gefragt, wie stark sich die DAX30-Unternehmen für eine Unternehmenskultur einsetzen, die offen gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen Mitarbeitenden (Abk.: LGBT+) ist. Als größte und umsatzstärkste an der Frankfurter Börse gelistete Unternehmen sollten sie die personellen und finanziellen Ressourcen haben, um etwas für ihre LGBT+ Mitarbeitenden zu tun. Um das zu untersuchen, haben wir den Unternehmen einen Fragebogen mit zehn Kategorien geschickt. Wir haben sie zum Beispiel gefragt, ob sie LGBT+ Diversity-Schulungen für ihre Angestellten und Führungskräfte anbieten, LGBT+Netzwerke betreiben oder eine genderinklusive Sprache verwenden. Für jede Maßnahme haben wir Punkte vergeben. Daraus ergab sich schlussendlich ein Ranking der DAX30-Unternehmen.

Ihr habt diesen Index 2019 zum ersten Mal vergeben und gleich gemerkt, dass einige Unternehmen hierbei unzureichende Belege eingereicht hatten, was Euch in der Presse angekreidet wurde. Was war passiert?

Wir haben zunächst keine Belege für die Angaben der Unternehmen angefordert. Wir vertrauten darauf, dass die Angaben von den Unternehmen transparent und korrekt getätigt werden. Das war ein Fehler. Wir bekamen zunächstaus der LGBT+Community Hinweise, dass die Angaben eines einzelnen Unternehmens nicht korrekt seien. Wir sind daraufhin nochmals auf das Unternehmen zugegangen mit der Bitte um Klärung. Tatsächlich mussten wir dann die Bewertung für das Unternehmen bei mehreren Fragen anpassen. Vor dem Hintergrund, dass wir nicht sichergehen konnten, ob auch die Angaben aller anderen Unternehmen korrekt getätigt wurden, haben wir uns dafür entschieden von allen Unternehmen die Nachweise anzufordern und zu prüfen. Unser Eindruck hat sich jedoch bestätigt, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen korrekte Angaben gemacht hat. Wir mussten bei vier DAX-Konzernen im Nachhinein nachbessern. Dabei handelte es sich um einzelne Fragen, bei denen wir keine Punkte geben konnten. Das machte je nach Unternehmen einen Unterschied von 5 bis 15 Punkten von insgesamt 100 Punkten in der Bewertung aus. Wir haben das Ranking folglich auf allen unseren Webseiten aktualisiert und die angpassten Ergebnisse der Presse kommuniziert.

Ihr habt Eure Vorgehensweise zur Erstellung des DAX30 nach dem Vorfall angepasst. Was wurde geändert und worauf legt ihr in Zukunft verstärkt euer Augenmerk? Wir werden beim nächsten Mal gleich von Anfang an zu jeder Antwort einen Nachweis verlangen, um sicherzugehen, dass alle Angaben im Ranking korrekt sind. Zudem werden wir jährlich die Kriterien anpassen und prüfen, ob diese noch zeitgemäß und dem aktuellen Stand eines exzellenten LGBT+ Diversity Managements entsprechen. Der Nollendorfblog und darauf auch das Magazin MANNSCHAFT nannten es Pinkwashing. Was versteht man unter Pinkwashing und war dies ein solcher Fall?

Pinkwashing bezeichnet eine Strategie, durch scheinbare Identifizierung mit der LGBT+ Bewegung bestimmte Produkte, Personen oder Organisationen zu bewerben und daraus einen Vorteil für sich zu schaffen. Sie sollen dadurch modern, fortschrittlich und tolerant wirken. Gleichzeitig werden in den Organisationen LGBT+ Menschen jedoch bewusst oder unbewusst benachteiligt. Ob das dem Pinkwashing bezichtigte Unternehmen sich beim DAX30 LGBT+ Diversity Index nun absichtlich besser darstellen wollte oder die Unternehmensvertreter:innen einfach unbeabsichtigt Fehler beim Ausfüllen gemacht haben, wissen wir nicht. Aus diesem Grund haben wir uns auch nicht an Spekulationen bezüglich Pinkwashings beteiligt.

Wie Eingangs schon erwähnt, wird Diversity für Unternehmen immer wichtiger. Gleichzeitig dürfte aber auch die Zahl der Unternehmen steigen, bei denen zwar Diversity draufsteht, vielleicht aber nicht so richtig drin ist. Kann euer Index hier Klärung bringen? Für Interessenten und Unternehmen?

Der Index gewährt einen Einblick darin, wie LGBT+ freundlich die DAX30-Unternehmen sind. Betreibt ein Unternehmen Pinkwashing, d. h. zeigt sich nach außen als LGBT+ freundlicher, als es in Wirklichkeit ist, wird es einen der letzten Plätze belegen. Der Index deckt also auf, ob die DAX30-Arbeitgeber wirklich z. B. an ihren Strukturen arbeiten, durch Antidiskriminierungsrichtlinien LGBT+ schützen oder ein LGBT+ Netzwerk unterstützen. Dies kann anhand der spezifischen  Index-Kategorien nachvollzogen und muss von Unternehmensseite belegt werden.

Mit 100 Punkten konnte SAP den ersten Platz erreichen, gefolgt von Allianz mit 91 Punkten. SAP hat somit als einziges DAX-Unternehmen in allen Kategorien die volle Punktzahl erreicht. Dr. Ernesto Marinelli, Senior Vice President, Head of Human Resources for Global Customer Operations bei SAP teilte uns über das Ergebnis mit: „Ich habe natürlich gehofft, dass wir sehr gut abschneiden, denn eine solche Indexierung ist für uns eine wertvolle Rückmeldung, wo wir eigentlich stehen, und wo es noch Luft nach oben gibt. Bei aller ehrlichen und tiefen Freude über unsere Top-Platzierung ist das aber für uns kein Grund, sich jetzt selbstzufrieden zurückzulehnen.“

Durch den Index haben wir in und außerhalb der beteiligten Unternehmen eine Debatte über eine LGBT+ freundliche Unternehmenskultur angestoßen. Die hohe Relevanz der Thematik unterstreicht auch das breite Medienecho, u. a. berichteten die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Handelsblatt. Zudem wurde auch von der Wirtschaft der Index positiv aufgenommen, z. B. kommunizierten Covestro, SAP und Allianz ihre Platzierung über Pressemitteilungen oder auf ihrer Unternehmenswebsite.

Wir hoffen so, Unternehmen auf Potentiale aufmerksam machen zu können, die ihnen ein Diversity Management bietet. Herr Marinelli bringt es ebenfalls gut auf den Punkt, dass Diversity Management nicht irgendwann “fertig” ist, sondern vielmehr einen kontinuierlichen Prozess darstellt. Wer dieses Jahr den ersten Platz auf dem Ranking belegt, wird dies in Zukunft nur tun, wenn er sich stetig weiterentwickelt – so wie wir die Kategorien im Ranking stetig weiterentwickeln. Manche der Unternehmen, die am Index teilnahmen, aber die hinteren Plätze belegten, kamen im Anschluss direkt auf uns zu und möchten ihr LGBT+ Diversity Management fortan verbessern. Für detailliertere Analysen können Unternehmen z. B. an unserem LGBT+ Diversity Audit teilnehmen. Und in unseren Online-Schulungen können Vertreter:innen von Unternehmen lernen, wie sie ihre Strukturen LGBT+ freundlich gestalten. Diese ist zudem für alle teilnehmenden DAX-Unternehmen kostenlos.

Dieser Beitrag erschien zuerst im August 2020 im Jahresmagazin des Völklinger Kreises IN/Spired.