EIN PLÄDOYER FÜR MEHR SICHTBARKEIT UND VERANTWORTUNG

Von Anastasia Biefang / QueerBW

Ich werde oft gefragt, ob meine Karriere als Cis-Frau genauso erfolgreich verlaufen wäre wie in den letzten 26 Jahren als Offizier und Offizierin der Bundeswehr. Die Antwort dazu fällt mir nicht leicht, da ich keine Vergleichsparameter habe. Ich habe nur mich. Eine berufliche Biografie, welche vor 26 Jahren als Mann anfing und in der ich wesentliche Karrieremeilensteine als Mann durchlaufen habe. Nach 20 Berufsjahren war dann mein Coming-out als transgeschlechtliche Frau, und seitdem bestreite ich auch mein Berufsleben als Frau. Meine Antwort auf diese Frage ist dennoch stets ein „Nein“, da ich glaube, dass die Strukturen innerhalb der Organisation Bundeswehr seit 1955 heteronormativ Cis-männlich gedacht wurden und zu großen Teilen weiterhin gedacht werden und dass wesentliche Veränderungen nicht durch einen inneren Werte- und Kulturwandel der Organisation erfolgten, sondern durch Anstöße bzw. Zwang von außen. Belegbare Beispiele dafür sind die Öffnung aller militärischen Laufbahnen der Bundeswehr für Frauen durch ein Urteil des EU-Gerichtshofs im Jahr 2001 oder die Aufhebung der Benachteiligung homosexueller Soldaten durch das Bundesministerium der Verteidigung im Jahr 2000 – durch die politische Entscheidung des damaligen Verteidigungsministers – gegen die Empfehlung seiner Generäle, wohlgemerkt. Als queere Führungskraft stelle ich mir zudem die Frage, ob mein Karriereverlauf genauso erfolgreich gewesen wäre, wenn ich mich zu einem früheren Zeitpunkt getraut hätte, mich zu outen. Auch hier habe ich keine einfache Antwort.

Unbestritten hat sich die Bundeswehr in Hinblick auf ein ganzheitliches Diversity Management auf Ebene der politischen und militärischen Führung gewandelt. Sichtbar wurde dies im Januar 2017, als die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen eintägigen Workshop „Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr“ veranstaltete, der u.a. auch inhaltlich von LGBTIQ-Angehörigen der Bundeswehr ausgestaltet bzw. moderiert wurde. Dieser Workshop war offenbar derartig ungewöhnlich, dass die BILD diesen als „Sex-Seminar“ titulierte und auch innerhalb der Bundeswehr kontrovers bis in Teilen ablehnend diskutiert wurde. Dass die Themen Sexuelle Orientierung und Identität dennoch derart prominent und sichtbar platziert wurden, verdanken wir der Entschlossenheit von Ursula von der Leyen.

Vielfalt und LGBTIQ-Freundlichkeit sind mittlerweile auch zu Markenkernen von Unternehmen geworden. Auf der queeren Jobmesse STICKS & STONES präsentieren sich Unternehmen als vielfältig und offen für queere Arbeitnehmer*innen. Die CSDs der Republik werden durch Wirtschaftsunternehmen unterstützt und beteiligen sich sichtbar daran. Die meisten großen Wirtschaftsunternehmen haben LGBTIQ-Mitarbeiter*innen-Netzwerke etabliert und ihre Personalabteilungen auch mit queeren Beschäftigten besetzt. Dennoch findet sich auch hier Kritik: Der Vorwurf des Pinkwashings, um ein LGBTIQ-freundliches Image zu propagieren mit dem Ziel, die Unternehmensumsätze zu steigern und nicht notwendigerweise für die sichtbare Integration von queeren Beschäftigten. Das jährliche Hissen einer Regenbogenflagge schafft nicht alleine eine wertschätzende und offene Kultur und tatsächlich gelebte Vielfalt über alle Hierarchie-Ebenen eines Unternehmens hinweg.

Die Frage, die es für mich zu beantworten gilt, ist, inwieweit setzen sich staatliche Organisationen und zivile Wirtschaftsunternehmen ein, die Lebensverhältnisse von queeren Arbeitnehmer*innen zu verbessern, sich deren Themen tatsächlich im beruflichen Umfeld anzunehmen und die eigenen Strukturen und Handlungsmaximen bewusst und kritisch auf strukturelle Benachteiligung oder Diskriminierung zu untersuchen? Wir als queere Führungskräfte tragen dafür eine besondere Verantwortung. Wir sind gefordert, innerhalb unserer Organisationen und Unternehmen unsere queere Identität sichtbar zu leben und die kritischen Fragen zu stellen – egal an welcher Stelle wir tätig sind. Wir dürfen dieses nicht nur den Mitarbeiter*innen in queeren Unternehmensnetzwerken und den Gleichstellungs- oder Diversitybeauftragten überlassen. Tatsächlich verschweigen viele queere Menschen bis heute ihre Identität im Beruf. In einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2017 waren es etwa ein Drittel der befragten Lesben und Schwulen und mehr als die Hälfte der trans- und bisexuellen Befragten. Auch aktuellere Studien belegen diesen Umstand weiterhin. Eine Vielzahl von homosexuellen und transgeschlechtlichen Mitarbeiter*innen trauen sich nicht zu einem Comingout im Berufsalltag, da sie weiterhin berufliche Nachteile befürchten.

Und das kann ich tatsächlich verstehen. Mir fehlten damals positive Orientierungspunkte und Rollenbilder für mein Coming-out, und ich stelle diesen Mangel auch heute noch fest. Die Bundeswehr hat circa 200 Generäle in ihren Reihen und, soweit mir bekannt ist, ist keiner oder keine davon offen homosexuell oder transgeschlechtlich lebend. Somit haben wir in der obersten Führungsetage keine homosexuellen Führungskräfte, die als positives Rollenbild für eine erfolgreiche Karriere dienen könnten und zudem auf Benachteiligung oder diskriminierende Struktren innerhalb der Organisation hinweisen könnten. Und sollten sich tatsächlich nicht offen lebende homosexuelle Generäle in den aktuellen Reihen befinden, bestätigt dies sicherlich nur die empirisch belegte Angst von queeren Mitarbeiter*innen vor beruflichen Nachteilen.

Aus meiner ehrenamtlichen Tätigkeit innerhalb des Vereins QueerBw und dem eigenen Erleben meines Truppenalltages stelle ich fest, dass vieles erreicht ist, aber wir immer noch einen weiten Weg zu gehen haben. Es bedarf nicht der offenen Anfeindung oder der direkten Diskriminierung, um festzustellen, dass queere Lebensweisen nicht überall auf Akzeptanz treffen. Ich erlebe, dass ich in meiner Organisation einer Erwartungshaltung entgegentrete, die mich als transidenten Menschen akzeptiert, solange ich einem gefühlt heteronormativen Lebensentwurf weitestgehend entspreche. „Sei gerne trans*, sei gerne lesbisch – aber bitte nur so weit, wie es für cis heterosexuelle Angehörige deines Berufstandes verständlich ist. Sei nicht so bunt, sei nicht so laut, sei nicht so sichtbar.“ An dieser Erwartungshaltung scheine ich oftmals zu scheitern – und tue es gerne. Denn wie ein*e Offizier oder Offizierin zu sein haben, ist nicht in Stein gemeißelt. Auch dieses Berufsbild unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel. Bunt und vielleicht schrill zu sein, macht mich nicht zu einer schlechteren Offizierin oder Führungskraft. Ganz im Gegenteil. Ich bin authentisch und glaubhaft, da ich mich nicht hinter zum Teil überholten Erwartungshaltungen oder Rollenbildern verstecke. Ich bringe mich ganz ein.

Wir als queere Führungskräfte müssen unsere Organisationen und Unternehmen herausfordern. Wir sind verpflichtet, die Grenzen der jeweiligen Kulturbereiche weiter zu verschieben, weiter zu öffnen. Wir müssen aktiv Strukturen hinterfragen und althergebrachtes Denken und Handeln aufdecken. Und wir sind in der Verantwortung sichtbar und laut zu sein. Wir müssen Flagge zeigen. Mit unserer ganzen Person. Denn nur so können wir den notwendigen Kulturwandel von innen herbeiführen. Denn dieser ist sicherlich deutlich nachhaltiger, wenn er tief in den Strukturen einer Organisation oder eines Unternehmens durch offen lebende queere Mitarbeiter*-innen verwurzelt ist.

 

Anastasia Biefang ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins QueerBw. QueerBw ist seit 2002 die Interessenvertretung der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen  Angehörigen der Bundeswehr. Wir setzen uns für Gleichberechtigung ein und bieten eine Anlaufstelle für alle „queeren“ Bundeswehr-angehörigen. Wir unterstützen bei der Ausbildung und beraten im Umgang mit queeren Lebensweisen. queerbw.de

Dieser Beitrag erschien zuerst im August 2020 im Jahresmagazin des Völklinger Kreises IN/Spired.