„WIR DÜRFEN DAS ERREICHTE NICHT AUFS SPIEL SETZEN“

Albert Kehrer und Jean-Luc Vey von PROUT AT WORK im Interview …

Vor sieben Jahren haben Albert Kehrer und Jean-Luc Vey die Stiftung PROUT AT WORK ins Leben gerufen. Sie unterstützt LGBT*IQ-Netzwerke und das Diversity Management in Unternehmen. Die Coronakrise macht die Arbeit der beiden Stiftungsgründer nicht leichter.

Herr Kehrer, Herr Vey, richtet Corona zugrunde, was Sie aufgebaut haben?

Albert Kehrer: Warum meinen Sie?

Deutschland steckt in der Rezession, viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet, die ersten Firmen melden Insolvenz an. Sind LGBT*IQ-Rechte da nicht Luxus?

Albert Kehrer: Klar, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten rutschen die soften Themen in den Hintergrund. Aber abgesehen davon, dass Diversity heute Teil der DNA vieler Unternehmen ist: Menschen- und LGBT*IQ-Rechte sind wichtiger denn je, denn es wird auch eine Zeit nach Corona geben. Und dann sollten Deutschlands Unternehmer_innen gut aufgestellt sein.

Deutschlands Unternehmen werden vor allem ärmer sein.

Albert Kehrer: Ihren Erfolg aber machen langfristig die Mitarbeiter_innen aus. Es ist ja erwiesen, dass ein gutes Diversity Management zu besseren Arbeitsergebnissen führt. Wo verschiedene Perspektiven aufeinandertreffen, fallen oft innovativere Entscheidungen. Dazu gehören freilich nicht nur LGBT*IQ, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderung, Quereinsteiger etc.

Jean-Luc Vey: Und Kolleg_innen, die sich geben können, wie sie sind, weil das die Firmenleitung fördert, sind deutlich motivierter. Es gibt so viele Geschichten von Lesben oder Schwulen, die nach ihrem Outing plötzlich Karriere gemacht haben. Die haben vorher viel Energie darauf verschwendet, sich zu verstecken.

Albert Kehrer: Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass gerade der Nachwuchs, um den große Konzerne ebenso wie der deutsche Mittelstand kämpfen, die Generation Y und die Millennials, stärker als frühere Generationen die Sinnfrage stellen. Bei einem Unternehmen, das keine Werte vertritt, wollen die gar nicht anfangen. Sie erwarten heute ein offenes und wertschätzendes Arbeitsumfeld.

Die Arbeit von PROUT AT WORK unterstützen insgesamt 43 Unternehmen neben den acht, die 2013 das Stiftungskapital begründet haben. Welche Signale empfangen Sie von denen in der Krise?

Albert Kehrer: Bislang wollen alle an ihrem Engagement festhalten.

Und außerhalb ihres Wirkungskreises?

Jean-Luc Vey: Im Affekt haben viele erstmal alle Projekte und Ausgaben gestoppt. Aber Diversity ist ja nicht an erster Stelle ein Kostenfaktor, sondern eine Frage der Haltung, wie ich mit meinen Mitarbeiter_innen umgehe. Nur wenige große Konzerne haben überhaupt Strukturen für ihr Diversity Management bzw. LGBT*IQ-Networks geschaffen. Wir möchten hier an die Verantwortlichen plädieren, nichts zu zerstören, was über Jahre gewachsen ist. Der Schaden wäre nach der Coronakrise groß.

Tatsächlich sind in der jüngsten Vergangenheit immer mehr LGBT*IQ-Networks in Unternehmen entstanden. Wie erklären Sie sich das?

Jean-Luc Vey: Es ist eine Dynamik, die aus der Debatte um die Werthaltigkeit von Unternehmen geboren ist. Marketer nennen es purpose: Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Chancengleichheit – dafür setzen sich Unternehmer heute wie selbstverständlich ein.

Albert Kehrer: Die Menschen fordern das. Je komplexer unsere Welt wird, desto mehr Orientierung erwarten sie von Marken. Und dazu gehört gesellschaftspolitischer Einsatz.

Trotzdem outen sich von den Betroffenen 30 Prozent nicht, wie Studien* zeigen.

Jean-Luc Vey: Und von denen, die sich offen geben, haben 79 Prozent Diskriminierungserfahrungen gemacht. Das geht vom dummen Schwulenwitz bis zu Mobbing und Gewalt. Viele zeigen sich nicht, weil sie fürchten, ihren Job zu verlieren oder sonst Nachteile zu haben.

Und das obwohl Deutschland doch eher ein weltoffenes Land ist.

Albert Kehrer:Die angelsächsischen Länder sind da viel weiter. Das liegt zum einen daran, dass die LGBT*IQ-Communitys dort mehr Druck machen. Deutsche Unternehmen dagegen haben oft Berührungsängste: Niemand will sich exponieren, jeder neutral bleiben.

Was kann PROUT AT WORK als Stiftung da tun? Klagen Sie an?

Albert Kehrer: Wir versuchen immer, eher die Vorzüge eines guten Diversity Managements aufzuzeigen. Es nützt am Ende niemandem, irgendwem Vorhaltungen zu machen.

Also ermutigen Sie lieber erstmal LGBT*IQ zum Outing im Unternehmen?

Jean-Luc Vey: Auch. Wir geben auf unserer Homepage zum Beispiel Tipps dazu. Wir helfen aber in erster Linie beim Aufbau von LGBT*IQ-Netzwerken, bringen sie in Austausch, begleiten ihre Arbeit mit Publikationen, Events und unseren Awards. Wir sind international gut verdrahtet und kennen uns aus. Die Präsenz von LGBT*IQ am Arbeitsplatz macht sie zu einer Selbstverständlichkeit.

Jean-Luc Vey: Wir klären natürlich auch die Unternehmen auf. Viele wollen Diversity, wissen aber gar nicht, wie sie das anstellen sollen. Zumal jetzt auch neue Themen aufgekommen sind: dritte Option, trans*, inter*. Darunter können sich viele schlichtweg nichts vorstellen.

Gibt es viele Vorurteile?

Jean-Luc Vey: Es ist eher Unwissenheit.

Kommen die Initiativen zur Gründung von LGBT*IQNetworks eher vom Unternehmen oder von den Mitarbeiter_innen?

Jean-Luc Vey: Derzeit tatsächlich viel von den Unternehmen, gerade vergangenes Jahr zu 50 Jahre Stonewall. Wir beobachten aber: Ein LGBT*IQ-Network ist immer dann am erfolgreichsten, wenn diejenigen es anstoßen, die es betrifft, weil die sich wirklich einbringen wollen. Von oben können Sie Diversity nur bedingt verordnen.

Albert Kehrer: Letztlich ist es ein Geben und Nehmen. Wenn der Arbeitgeber sich vorwagt, sollten die Leute mitgehen. Da stehen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche Menschen in der Verantwortung.

Und was bringt so ein Netzwerk?

Albert Kehrer: Es stärkt die Einzelnen im Unternehmen. LGBT*IQ-Netzwerke sind Ansprechpartner_innen für Leute,die sich nicht trauen, sich zu outen, und natürlich kann so eine Gruppe gemeinsam mit der Personalabteilung viele gute Initiativen starten: Wie können wir kommunizieren, wie Prozesse so verändern, dass Chancengleichheit erreicht wird? Es geht nicht darum, abends einfach mal zusammen ein Bier trinken zu gehen.

Welche Unternehmen sind denn besonders fortschrittlich?

Albert Kehrer: Die Commerzbank, SAP und zum Beispiel Bosch. Barilla setzt sich seit dem Eklat um die homophobe Ansage ihres Inhabers, Barilla verkaufe seine Nudeln am liebsten nur an traditionelle Familien, ganz bewusst mit Diversity-Projekten auseinander. Heute hat Barilla ein vorbildliches Diversity Management.

Jean-Luc Vey: Im Mittelstand ist es noch nicht so ein großes Ding, weil die Angst vor den Kosten haben. Dabei ist Diversity, wie gesagt, eher eine Frage der Haltung.

Das sind alles Firmen, mit denen Sie kooperieren. Gibt es schwarze Schafe?

Albert Kehrer: Bei vielen frage ich mich schon, wenn ich die so beim CSD mit ihren Wagen sehe: Ist das Pinkwashing oder steckt wirklich Substanz dahinter? Bei unseren Unternehmenspartnern sind wir aber überzeugt, dass sie es ernst meinen.

Eigentlich doch eine schöne Entwicklung: Immer mehr Unternehmen nehmen an den CSD-Paraden im Land teil. Aber es wird in der Community auch kontrovers diskutiert: Viele fürchten eine Kommerzialisierung.

Albert Kehrer: Es ist grundsätzlich gut, wenn sich Unternehmen für Vielfalt einsetzen, dazu gehört aber nicht nur der Sattelschlepper beim CSD. Und es geht auch nicht darum, in der PrideWeek irgendwelche Regenbogenprodukte zu verteilen.

Jean-Luc Vey: Wir halten unsere Partner_innen an, ein venünftiges Diversity Management im eigenen Unternehmen aufzubauen, das Thema öffentlich zu diskutieren und LGBT*IQOrganisationen zu finanzieren, die nicht viel Geld haben und es für ihre Arbeit dringend brauchen.

Wegen Corona fallen dieses Jahr viele Szene-Events wie die CSDs aus oder finden virtuell statt. Auch PROUT AT WORK verlagert seine Veranstaltungen ins Netz. Sie erlauben sich keine Pause?

Jean-Luc Vey: Nein, Netzwerken ist gerade in Krisenzeiten wichtig. Letztlich geht es dabei nicht nur um die eigenen Perspektiven in der Arbeitswelt.
Albert Kehrer: Seit Langem schon wird unsere Gesellschaft von Rechts bedroht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Populist_innen versuchen werden, die Krise, in der wir jetzt stecken, für sich zu nutzen. Da müssen wir jetzt weitermachen und all unsere Kräfte bündeln. Wir sind mehr in den Social Media sichtbar und bieten alle unsere Formate nun virtuell an. Auch unsere Lobbyarbeit, geht weiter, nur eben ohne Präsenzveranstaltungen.

(*Dominic Frohn: „Out im Office?! Sexuelle Identität und Geschlechtsidentität, (Anti-)Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz“, 2017)

Dieser Beitrag erschien zuerst im August 2020 im Jahresmagazin des Völklinger Kreises IN/Spired.